VEREIN BRAAKER MÜHLE E.V.

Geschichte der Mühle

1849 bis 1859

Der Anfang der Braaker Mühle

Auf dem Braaker Röthberg errichtet 1849 der Papendorfer Müller und Zimmermann Friedrich August Reimers (1821 – 1911) eine achteckige Galerieholländer-Windmühle mit je zwei Mehl- und Graupengängen. Mühlenkenner bemerken: Weil Reimers kein Mühlenbauer war, ist der Aufbau seiner Mühle einzigartig – die Balken besonders dick, die Silhouette besonders schlank.

Eine freie Mühle für freie Bauern
Am 1.7.1850 soll sie ihren Betrieb aufgenommen haben. Reimers beginnt, das Getreide der umliegenden Dörfer zu mahlen, die sich kurz zuvor aus dem Mühlenzwang freigekauft hatten. Ein Gesetz, das im Jahr 1158 von Friedrich Barbarossa, damaliger Kaiser des römisch-deutschen Reichs, erlassen wurde. Unterm Mühlenzwang war es Bauern bis 1839 nur erlaubt, ihr Korn in der Mühle des Grundherrn, der sogenannten “Kameral-”, “Zwang-” oder “Bannmühle” gegen das von ihm festgelegte Mahlgeld mahlen zu lassen, anstatt den Ort frei zu wählen und Preise frei zu verhandeln. 

Allerdings schafft Reimers es nicht, die Mühle langfristig zu halten. Verschuldet mit 8.000 Reichstalern, muss er sie 1859 aufgeben.

Bild rechts: Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands der Braaker Mühle 1850, angefertigt 2025

 

1859 bis ca. 1900

Ein Familienbetrieb entsteht

Am 10.6.1859 wird die Mühle für 9.375 Reichstaler an den Müller Carl Heinrich Christoph Lessau, geboren auf Gut Wulksfelde, versteigert. Mit Einführung der Gewerbefreiheit ergänzt er sie um eine Bäckerei und kauft außerdem etwas Land für den eigenen Getreideanbau. Damit macht die Familie gleich zu Anfang den klugen Schritt, den Betrieb mit mehreren Standbeinen möglichst breit aufzustellen.

Es beginnt mit einem Küchenherd
Zunächst backt seine Frau Anna das Brot in einem kleinen Küchenherd. Sie lädt ihre wertvolle Ware zweimal die Woche auf einen mit Stroh ausgelegten Ackerwagen und fährt auf den Markt in Wandsbek und Rahlstedt. Später schafft man einen freistehenden Backofen an, der mit Holzscheiten angefeuert wird. So kann der Betrieb professioneller und im größeren Maßstab Brot backen. Um den Geschmack des Brotes zu schützen, versteht Anna Lessau es, die Brote mitten in die Holzglut hinein zu schieben. Der Teig bildet so eine schützende Haut und schließt das Aroma in der Krume ein.

Eine Region im Zeitraffer
Um Familie Lessau herum beginnt die Welt sich mit rasantem Tempo zu verändern. Burghardt Schmidts Mühlenchronik “Die Braaker Mühle im Wandel der Zeiten” beschreibt: “Die Zeit (…), war eine Zeit großen Wandels in Staat und Gesellschaft, gekennzeichnet durch technischen Fortschritt, Wachstumsbeschleunigung, Expansion der Industrie, verbesserte Verkehrsinfrastrukturen, Agrarreformen sowie anhaltende Arbeitskämpfe um bessere Arbeits-, Lebens- und Ausbildungsbedingungen. Besonders deutlich wurde dies im benachbarten Hamburg mit der Entwicklung des Dampfschiffbaus und -betriebs durch Blohm & Voss und die HAPAG, der Einweihung der Elbbrücken im Jahre 1872, der Inbetriebnahme der ersten Telefon-Vermittlungsstelle am 16. April 1881, der 1882 beginnenden Elektrifizierung oder dem Bau der Speicherstadt in den Jahren 1885-1888.” 1892 wird Hamburg abgeschottet, weil in der Cholera-Epidemie 17.000 Einwohner erkranken.

Die zweite Generation
Obwohl auch die Familie mit steigenden Lebenshaltungskosten, Arbeitskräfteüberhang und Verfall der Agrarpreise zu kämpfen hat, ermöglicht der Betrieb ihr ein wohlhabendes Leben. Mit dem Generationswechsel Ende des 19. Jahrhunderts beginnen Carl Christoph Eduard Lessau (geb. 1860) und seine Frau Anna, die Mühle zu modernisieren. Jalousien-Klappen ersetzen das Segeltuch an den Flügeln, eine neue Kappe mit einer gusseisernen Welle kommt hinzu und statt des Steerts sorgt eine Windrosenanlage nun dafür, dass die Mühle immer optimal zum Wind steht. 

Ein weiteres Standbein
In Schleswig-Holstein gibt es zu dieser Zeit noch mehr als 1.000 Mühlen. Viele Müller sind jedoch bereits auf der Suche nach weiteren Einnahmequellen, um nicht von einer Technik abhängig zu sein, die schon bald überholt sein wird. Um die Jahrhundertwende besitzt Familie Lessau 26,7 Hektar Land in und um Braak.

Bild rechts oben:
Anna und Carl Heinrich Christoph Lessau ersteigern die Mühle 1859 und gliedern ihr eine Backstube an.
Bild rechts unten:
Kaufvertrag von 1859 über 9.375 Reichstaler

1900 bis 1977

Weitermachen – trotz Gegenwind

Auch das neue Jahrhundert bringt jede Menge Wandel, der wiederum in Braak zu spüren ist. Dennoch gehen die Modernisierungsarbeiten weiter: 1910 erfolgt der Umbau von Ober- zu Unterantrieb und es wird eine elektrische Roggen- und Schrotmühle eingebaut. Bis in die 1910er wird der Teig noch mit Händen und Füßen geknetet, nun gibt es eine Knetmaschine. Allerdings noch keine elektrische, sondern eine mit zwei lebendigen Pferdestärken, die per sogenanntem Göpel die Knethaken antreiben. 

Der erste Weltkrieg und seine Folgen
Als der Krieg ausbricht, ist der neue Alltag von großen Sorgen geprägt. Vor allem, weil Carl Friedrich Emil (geb. 1900), das einzige Kind von Carl Christoph Eduard und Anna, eingezogen wird. Zudem sind Lebensmittel wie Brot, Milch, Fett und Eier rationiert. Große Freude herrscht aber, als Carl Friedrich Emil wieder sicher nach Hause zurückkehrt. Nach dem Krieg folgen Wirtschaftskrise, Hyperinflation, Börsencrash. Ein Laib Brot kostet 1923 399 Milliarden Mark. Vorher waren es 32 Pfennige. Die letzten Ersparnisse der Familie gehen drauf und an weitere Modernisierung ist vorerst nicht zu denken. 

Ein tragischer Verlust und eine Wiedervereinigung
Die Folgejahre sind für die Familie schwer zu ertragen. Aus der Chronik: “Wie jeder Krieg brachte auch der 2. Weltkrieg Leid und Schrecken über die Bevölkerung und damit auch über die Müller- und Bäckerfamilie Lessau. Der älteste Sohn von Carl und Anni, Carl-Heinz, zog sich im Mai 1942 auf einem Schulausflug seiner Plöner Lehranstalt so schwere Verletzungen zu, dass er einige Wochen später im Kieler Krankenhaus verstarb. Täglich schwebte die Familie in den Gefahren der Luftangriffe, dazu kam die Ungewissheit über das Schicksal von Carl, der bereits seinen zweiten Weltkrieg als Soldat mitmachte. Auch das Schicksal des zweitältesten Sohnes, Werner, der am 22. März 1927 geboren war und schon siebzehnjährig als Zugführer des Reichsarbeiterdienstes an der Ostfront stand, bevor er während des Zusammenbruchs zweimal in Gefangenschaft geriet, blieb zwischenzeitlich ungewiss. Glücklicherweise jedoch kamen beide Ende des Krieges wieder nach Hause zurück.”

Jetzt kommt es auf die Müller an
1945 ist der Krieg beendet, die Herausforderungen bleiben aber. Strom und Treibstoff sind Mangelware. Zudem sind viele Industriemühlen, Großbäckereien und andere Betriebe aus der Lebensmittelproduktion zerstört worden. Aus der Chronik: “Trotz unvorstellbarer Versorgungsnöte gelang es den heimischen Müllern, ihre mit Naturkraft betriebenen Wind- und Wassermühlen wieder betriebsfähig zu machen bzw. betriebsfähig zu halten, so dass eine Hungersnot größeren Ausmaßes verhindert werden konnte. Seit Beginn der 1950er Jahre gehörten diese Versorgungsnöte jedoch mehr und mehr der Vergangenheit an.”

Die vierte Generation und das Mühlensterben
Das Familienunternehmen macht Gewinne und kann die Reparaturen an der Mühle fortsetzen. Es erweitert außerdem sein Sortiment und bietet nun auch Kuchen an.

Werner Lessau übernimmt 1951 die Leitung von seinem kranken Vater Carl Friedrich Emil. Zuvor hatte er sich bei Max Assmann in Schönningstedt in verkürzter Lehrzeit zum Bäcker und bei Hans-Ernst Voß in Altengamme zum Müller ausbilden lassen. Zusätzlich absolvierte er einen beschleunigten Meisterkurs, den er ebenfalls 1951 abschloss.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Bäckerei inzwischen weitaus lohnender ist als Müllerei und Landwirtschaft. Letztere verantwortet inzwischen Werners Bruder Günther. Nach ihrer kurzen Blütezeit in den schwierigen Nachkriegsjahren können sich die Wind- und Wassermühlen in Schleswig-Holstein jetzt nicht mehr gegen die Industriemühlen durchsetzen. Zu groß sind Aufwand, Kosten und Wettbewerber. Im großen Mühlensterben, beschleunigt durch Stilllegungsprämien, verschwindet ein Großteil.

Ist die Mühle noch rentabel?
Dass die Braaker Mühle nicht ebenfalls stirbt, ist Carl und Werner Lessau zu verdanken. Sie erkennen den symbolischen Wert der Mühle als Kulturdenkmal und setzen sich für ihren Erhalt ein. 1959 feiert die Familie 100 Jahre Braaker Mühle. Die Bäckerei wird weiter automatisiert und modernisiert und die Mühle erhält 1968 einen elektrischen Schrotmahlgang. Gemahlen wird allerdings nur noch für die Schweinemast – und selbst das ist nicht mehr rentabel.

Die Flügel stehen still

Schließlich ist es der Siegeszug der Mähdrescher, der die Braaker Mühle in die Knie zwingt. Getreide, das per Mähdrescher geerntet wird, enthält Steine. Da immer öfter Kiesel oder Sand im Mehl zu finden sind und die Mühle über keine Reinigungsanlage für diesen Fall verfügt, wird sie 1977 stillgelegt, nach 127 Jahren Dienstzeit.

Erstes Bild: Blick auf den Treppenaufgang im Erdgeschoss, darüber der alte Sichter (Siebmaschine)
Zweites Bild:
Eins der frühesten Bilder der Braaker Mühle, hier noch reetgedeckt, allerdings schon mit neuer Windrosenanlage.
Drittes Bild:
Der Mahlstein wird erneuert
Viertes Bild:
Die Braaker Mühle aus der Vogelperspektive, Anfang der 50er Jahre

1977 bis 1995

Stillstand, aus dem Fortschritt wird

Die vierte Generation mit Werner und Lisa Lessau erkennt: Der Wind kommt der modernen Technik nicht hinterher. Weil die Mühle nun nicht mehr genutzt wird, verfällt sie zusehends. Stürme rütteln am Flügelkreuz und reißen Teile herab. Der Windrosenbock wird komplett zerstört. Spätestens in den 1970er Jahren kommt aber ein neues Bewusstsein für den landschaftlichen, historischen und auch technischen Wert der schleswig-holsteinischen Windmühlen auf. Die, die im Mühlensterben nicht abgerissen wurden, werden häufig unter Denkmalschutz gestellt, so auch die Braaker Mühle 1983. 

Die gut laufende Bäckerei entscheidet sich für ein breiteres, aber spezialisiertes Sortiment und den direkten Verkauf in eigenen Fachgeschäften, um im Wettbewerb gegen Industriebäckereien bestehen zu können. 

Die fünfte Generation: der Mühlenverein wird geboren
Als 1982 Werner Lessau überraschend stirbt, hat sein Sohn Joachim gerade die Meisterprüfung als Konditor bestanden. Er übernimmt darum als fünfte Generation alle Geschäfte, mit nur 26 Jahren. Was er damals noch nicht weiß: Wenige Jahre später wird die Begegnung mit seiner Frau Maren nicht nur in seiner eigenen Geschichte, sondern auch in der der Mühle ein neues Kapitel aufschlagen. Laut augenzwinkernder Familienlegende soll Brautvater Karl-Heinz Borchert nämlich gesagt haben: “Wenn du meine Tochter bekommst, bekomme ich deine Mühle.” Gesagt, getan. Ende 1990 gründet Karl-Heinz Borchert mit 13 weiteren engagierten Braakern den “Verein Braaker Mühle e. V.”. Ihr erklärtes Ziel: gemeinsam mit Joachim und Maren Lessau die Mühle restaurieren und erhalten.

Grunderneuerung für die Braaker Mühle
Erste Schritte lassen nicht lange auf sich warten: Der Verein macht eine Bestandsaufnahme, plant Bauabschnitte und schätzt die anfallenden Kosten. Ein Gutachten nennt die außergewöhnliche Rumpfabzimmerung und den “hervorragenden Erhaltungszustand” als triftige Gründe, der Mühle zu einem zweiten Leben zu verhelfen. Für die insgesamt 431.500 DM Restaurierungskosten kommen die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, der Kreis Stormarn, das Amt Siek, die Gemeinde Braak und mehrere Banken auf.

Der Verein packt an
Die Vereinsmitglieder erledigen rund ein Drittel aller Arbeiten eigenhändig und ehrenamtlich. Unter anderem bekommt die Mühle eine neue Galerie, eine neue Stülpschaltung zwischen Dach und Galerie, einen neuen Anstrich, ein erneuertes Stirnrad und einen erneuerten Mahlboden, eine neue Kappe inklusive Windrose, einen neuen Zahnkranz, eine neue Blitzschutzanlage, einen neuen Lorryboden und einen neuen toten Boden. Sowohl der Wind- als auch der Elektromahlgang werden wiederhergestellt, die Flügel mitsamt Bremse und Getriebe komplett erneuert.

Bild oben:
Karl-Heinz Borchert vor der flügellosen Mühle
Bild unten:
Das Flügelkreuz war von Wind und Wetter stark beschädigt

1996 bis 2025

Frischer Wind aus allen Richtungen

Die Zeit dreht sich weiter: Nach fünf Jahren Sanierung wird die Braaker Mühle 1996 feierlich wiedereröffnet. Die alte Holländerin steht da wie zu ihren besten Zeiten – stolz und voll funktionstüchtig. Im Auftrag des Mühlenvereins zeigen in den folgenden Jahren mehrere Müllermeister großen und kleinen Besuchern, wie ihr hausgroßes Werkzeug funktioniert. Das Mühlencafé und der Mühlenladen öffnen ihre Türen erstmals und die Müllerstube steht für Gruppen – auch Trauungen – zur Verfügung. 1998 erhält der Verein für seine Gesamtkonzeption den Umweltpreis der Kulturstiftung Stormarn. Eine tolle Anerkennung für alles, was geleistet wurde!

Eine der letzten ihrer Art
Im Auftrag der Bäckerei mahlt die Mühle (bis heute) ca. drei Tonnen Vollkornmehl pro Woche, das gleich nebenan verbacken wird. Die Braaker Mühle ist damit eine von ganz wenigen Windmühlen in ganz Deutschland, die noch betriebswirtschaftlich genutzt werden. Seit 2000 sind die Mühle und ihre Zulieferer bio-zertifiziert. Heißt: Vom Pflanzenschutz über Lagerung und Aufbereitung des Getreides gelten höchste Umweltstandards.

Wie es sich für ein gutes Werkzeug gehört, wird die Mühle seitdem gehegt und gepflegt. 2015, im 25. Jubiläumsjahr des Vereins, wird beispielsweise die Galerie wieder erneuert – und die bereits genannte Chronik erscheint. 2019 stirbt Karl-Heinz Borchert im Kreis seiner Familie.

Bild: Karl-Heinz Borchert auf der Galerie der frisch renovierten Mühle

2025

Zurück in die Zukunft

Tim und Mark Lessau, Ur-ur-urenkel des allerersten Carls, führen als Bäcker und Brotsommelier die Bäckerei in sechster Generation und mit inzwischen 30 Fachgeschäften und rund 550 Mitarbeitern. Sie sind es auch, die die Mühle in die sozialen Medien holen und kanalübergreifend ihre Geschichte weitererzählen.

 

Umbau mit Rückenwind

2024 beginnen sie einen weiteren umfangreichen Umbau, um die denkmalgeschützte Mühle für alle Gäste noch besser zugänglich zu machen.

Allerdings bekommt dieses Mal nicht die Mühle selbst neues Leben eingehaucht, sondern ihr Sockelgebäude, in dem bisher Wohnungen und eine Werkstatt waren. Das Mühlencafé wird vergrößert und die Infrastruktur modernisiert. Es gibt erstmals Toiletten – auch barrierefreie – für die Mühlengäste und einen neuen, hellen Treppenaufgang in die oberen Räume. So können alle Besucher den Geschichts- und Museumsrundgang, der sich vom Erdgeschoss über den Glasgang bis in die Müllerstube erstreckt, sicher erreichen.

Auch bei diesem Umbau hat der Mühlenverein tatkräftig unterstützt. Zudem wurde er mit einer Summe von 150.000 € von der Europäischen Union, dem Land Schleswig-Holstein und der LAG AktivRegion Sieker Land Sachsenwald e. V. gefördert.

 

Bild: Die Braaker Mühle 2025: fit für die nächsten 175 Jahre

 

 

 

 

 

Erstellt mithilfe der Chronik “Die Braaker Mühle im Wandel der Zeiten” von Burghart Schmidt (DOBU Verlag, 2015)